stadt/land/stopp

Im Gestus des Kinderspiels, das die Fassbarkeit des Universums in Stadt-Land-Fluss-Kategorien suggeriert, bedichtet Elze nicht weniger als die ganze Welt. Diese umfasst die großen Städte und ferne Länder – etwa in einem Vietnam- Reisezyklus mit Flugangst – ebenso wie den kleinen plattgefahrenen Igel, dessen »deutsches schicksal auf japanisch« er in kunstvoller Haiku-Form dokumentiert.

Sie enthält die große Liebe, die im »mädchenzimmer« beginnt, zart duftende Erotik (»früchtefleisch«) sowie einen knallharten Politessen-Porno auf »p«. Selbstvergessen wird die Natur, selbstbewusst der menschliche Körper betrachtet, der von der biologischen Verschmelzung (»ballade von den schönen hüllen«) bis zur Vivisektion nicht nur Familiengeschichte, sondern auch »grammatik« produziert.

Barocke Bildgedichte, traditionelle Liedformen, die Kunst des sinnlichen Klang- und Reimspiels und moderne Performance- Rhythmen – Elzes Spielfeld umfasst das gesamte Manual der Dichtkunst. In diesem ebenso lebensfrischen wie formbewussten Gedichtband ist ein zeitgenössischer Lyriker zu entdecken, der nicht nur dichtet, sondern auch schlicht und einfach begeistert.

„rheumatische löwen sich pissen/ die sommer verschlafen, sich pissen/ gedankenlos ein vor natursteinkulissen/ komm, wir gehen zum küssen in den zoo.“ So die erste Strophe eines Gedichtes mit dem Titel „oh baby, berlin“. Der Autor dieser mit rotzig-übermütiger Attitüde dahingeworfenen Zeilen ist Carl-Christian Elze aus Leipzig, welcher mit „stadt/land/stopp“ wohl einen der lesenswertesten Gedichtbände des Jahres 2006 vorgelegt hat. Hier will offensichtlich niemand nur gefallen, die Zeilen sind ein mutiger Affront gegen jede gefallsüchtige Blätterfalllyrik. Gut ausgebildete Feuilletongermanisten werden bei solchen Zeilen den Band womöglich schnell und angewidert aus den zarten Fingern legen, solcherlei Versdichtung glaubte man längst überwunden. Elze ist zunächst einmal bei Gottfried Benn in die Lehre gegangen, dann darüber hinaus, ein Wilhelm Busch auf Sektionskurs: „max am becken, eins zwei drei, spült die wasserleichen frei […] moritz schneidet um die stirnen mit dem messer rote fäden/ zieht die kopfhaut einfach über all die toten augen drüber/ sägt & hebt den deckel ab, legt den deckel rechts vom topf/ max nimmt das wie keine krone dem verschwitzten moritz ab/ bricht die zacken raus & ohne glanz im auge macht er das.“ Das ist keineswegs nur die epigonale Adaption einer Bennschen Wasserleiche, Elzes „forensische ballade“ ist in ihrem ironisch-sarkastisch-beschwingten Tonfall viel eher eine Parodie jener todernsten Bennschen Morgue-Szenarien. […] In diesem Gedichtband kreucht und fleucht es, da ist Leben drin. Die junge Leipziger Literaturszene lebt und Carl-Christian Elze ist sicher eines ihrer größeren Talente, ein Beweis dafür, dass gute Literatur sich letztlich nur am richtigen Leben entlang schreiben und nicht etwa auf dem Reißbrett seidenbeschalter Kaffeehausstudenten entwerfen lässt. — Daniel Ketteler

Der Titel „stadt/ land/ stopp“ erinnert an ein Kinderspiel, bei dem das Wissen von der Welt in Worten auf Papier gebracht wird. Carl-Christian Elze verbindet die Ästhetik der Sprache mit der Systematik der Wissenschaft, wandelt die aus Kindertagen bekannten Kategorien in die Kapitelnamen: stadt, landnahme, tierfluss, statt namen, fluss und pflanze. Beginnend in Paris, der „stadt der angedichteten gefühle“, durchstreift er europäische Metropolen, formuliert in „römische kapelle“ einen eigenen Leitsatz: „man soll in ruhe auf den ekel blicken“. Der Autor scheut das Dreckige, Tote, Vulgäre nicht. Fast scheint er es zu suchen, stellt es den schönen Dingen entgegen, überrascht, erstaunt und verstört. Seine Sprache ist originell, seine Bilder stimmig und stark. Ganz Wissenschaftler prüft er, untersucht, seziert bis hin zu einfachsten Strukturen, versteht, erklärt, verweist. Tippt Brecht an, Benn, Heine, eröffnet die Kapitel mit Lichtenberg-Zitaten, setzt Fußnoten. Verspielt und provokativ wechselt Elze Textform, Tonfall, Rhythmus. […] Elze hat sich an die großen Themen gewagt und beantwortet sie in einer eigenen, kraftvollen Sprache, entwirft Bilder, die sich einbrennen. — Katrin Merten

Als Lesende werden wir von Elze sehr rasch in seinen bizarren Schraubstock gespannt und darin – zur Reglosigkeit verdammt – gefordert, gepeinigt, geprüft bis auf die Knochen. Niemals neigt der 1974 geborene Autor zur süßlichen Wahrnehmungspoesie, zum Eskapismus oder gar zum derzeit vielfach am (auch von ihm seit 2004 als Student besuchten) DLL zelebrierten neurasthenischen Hauchen. Sein vorwiegend aufs Kreatürliche bezogene und verdichtete Vokabular ist von eigenwillig scharfer und lauter Natur. Hier wird Vielfalt zelebriert, statt fokussiert, hier wird sich (heftig, auch wütend) Erlebtes oder Gesehenes via Wort gefügig gemacht, statt kontemplativ darüber zu jammern und zu brüten. […] Ein Ausruhen von und eine Abwehr gegen den eigenen getriebenen, pulsierenden Blick auf die Welt gibt es bei Elze schließlich auch: Besonders dort, wo die Themen Vater und Sohn berührt werden und plötzlich weichere Töne und ein Innehalten anklingen. — Rusalka Reh