panik/paradies

Carl-Christian Elze sucht in seinen Gedichten die großen Schauplätze menschlicher Erfahrung auf. Es ist ein Kampf zwischen Angst und Zuversicht, zwischen Panik und Produktion, zwischen Glauben und (Ver-)Zweifeln. panik/paradies eröffnet uns ein überbordendes Spektrum an Auseinandersetzungen: Kindheit und Kindheitserinnerung, Familie und Ehe, Liebe und Entfremdung, Tier-Mensch-Beziehungen, Geschichte und wie wir sie erzählen, Politik und ihre Auswirkung auf unser Selbstbild und die Bilder, die wir von anderen haben.

Elzes Gedichte sind immer auch Spiegel unserer Empfindungen: Wie begegnen wir dem Schmerz, wie dem Tod?, wie der Trauer?, wie dem immer wiederkehrenden Gefühl der Ohnmacht, der Angst. Es muss doch eine Sprache geben, die die existentiellen Fragen zu fassen vermag? Terzinen, Sonette, Balladen, Zyklen, Listen, Gebete, Beschwörungen – Elze breitet das Besteck des Dichters in fast verzweifelter Vielfalt aus. Gerade in der Vielstimmigkeit, die im Band hörbar und spürbar wird, liegt eine Möglichkeit, eine Sagbarkeit. Es ist Elzes unverwechselbarer Ton, sein Flow, sein Atem. Präzise, aber nie pedantisch – spielerisch, aber nie verspielt – wütend, aber nie verachtungsvoll.

panik/paradies ist nichts weniger als eine unbedingte, eine schonungslose Hingabe an die Existenz und an die scheinbar unendlichen Fragen, die sie aufwirft.

„Großmutters Frisur sitzt, der Vers auch“: Carl-Christian Elzes leichthändige Gedichte im Band panik/paradies handeln mitunter auch vom Händewaschen. „So vielfältig die Themen, so frei verfügt Elze über Formen und Sprechhaltungen. Mal gereimt, meist ungereimt, mal metrisch gebunden, meist frei im Rhythmus und doch immer auf den Punkt.“ — Tobias Lehmkuhl, FAZ (20.02.2024)

Carl-Christian Elze hat mit "Panik Paradies" einen neuen Lyrikband vorgelegt. Darin zeigt er, dass er einer der besten zeitgenössischen deutschen Dichter ist. Zoodirektor wollte er werden, studierte Biologie, Medizin und Germanistik und wurde am Ende Schriftsteller. Diverse Lyrikbände und einen Roman hat der 1975 in Berlin/DDR geborene Carl-Christian Elze bisher veröffentlicht. Schon das 2013 erschienene Debüt von Elze, "ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist", offenbarte, dass da jemand kommt, der einiges zu sagen hat und das auch poetisch umsetzen kann. Einige Bände später schreibt Carl-Christian Elze immer noch auf hohem Niveau. In „Panik Paradies“ entführt uns der Autor auf knapp 200 Seiten in die apokalyptisch-paradiesische Wahrnehmungswelt des Carl-Christian Elze, die es in sich hat. In Sonetten, Terzinen und überwiegend Versen freier Metrik fliegen uns "verlassene zonenhunde", "verrostete raumschiffe" und "Yaks ohne Führer" um die Ohren. Und zwar so, dass wir noch mitkommen. Der Autor beherrscht virtuos das Lexikon der deutschen Sprache und sein Verstand ist messerscharf. Carl-Christian Elze ist ein poetischer Planet, den es zu entdecken gilt. — Matthias Ehlers, WDR

Leipziger Autor Carl-Christian Elze: einer der kühnsten Dichter der Gegenwart. Ursprünglich schwebte dem Leipziger Autor Carl-Christian Elze eine Laufbahn als Arzt vor – doch das Medizinstudium entsprach nicht seinen Erwartungen. Deshalb wechselte er ans Deutsche Literaturinstitut Leipzig, wo er diplomierte. Den Durchbruch erzielte er schließlich 2013 mit der Vers-Sammlung "ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist". Seither gehört er zu den Shootingstars der modernen deutschen Poesie. Nun ist ein neuer Lyrikband von ihm mit dem Titel "panik / paradies" erschienen. Die Neuerscheinung trägt den Titel "panik/paradies". Darin überwiegen apokalyptische Stimmungen. Doch der Autor, der momentan als Stadtschreiber in Dresden amtiert, will kein Unheilsprophet sein. Vielmehr warnt er davor, die Resultate der Evolution leichtfertig zu verspielen. Als Sohn eines Tierarztes, der sich leidenschaftlich für den Erhalt der Biosphäre auf unserem Planeten engagierte, rückt er vor allem die Gefährdungen des ökologischen Gleichgewichts durch die moderne Zivilisation in sein Blickfeld. Ähnlich wie seine bereits verstorbenen Kollegen Günter Kunert und Sarah Kirsch hadert er mit dem Fortschritt. Die Strophen Carl-Christian Elzes erschöpfen sich indes keineswegs in solchen metaphorischen Brandreden. In einem Zyklus von Gedichten erinnert sich der Künstler zurück an seine Jugend nach dem Zerfall der DDR. Bei manchen Schriftstellern seiner Generation wirken solche Reminiszenzen abgegriffen, aber Elze schafft es, eine authentische Stimmung heraufzubeschwören. Diese Glaubwürdigkeit resultiert daraus, dass er sich extrem in Details vertieft: in der großen hofpause drei haltestellen mit dem bus / zur pommesbude erste blüte des westens / zur dönerbude zweite blüte des westens / zur burgerbude dritte blüte des westens / für jahre abgetaucht im konsum / stereoanlagen klamotten die autos der eltern / jedes wochenende suchtrupps / im videopalast zehn filme auf einmal / komödien und action / der ausgeliehene videorecorder der feuer fängt / das erste konzert für 18 westmark / vorm stadion: tina turner und simple minds. Freie Metren sind die erklärte Spezialität von Carl-Christian Elze, doch er greift gern auf klassische Formen zurück. Ungemein versiert bewegt er sich auf dem Gebiet des Sonetts, dessen Ursprünge im Italien des 13. Jahrhunderts wurzeln. Allerdings orientiert er sich dabei nicht an vergessenen Vertretern des Genres, sondern an dessen modernen Repräsentanten wie Georg Trakl oder Rainer Maria Rilke. Besonders sticht dabei die ausgefeilte Qualität seiner Melodik ins Auge. Lyrik zwischen Dönerspießen und Dealerwiesen Die genuine Poesie Carl-Christian Elzes zehrt von verstecktem Fingerzeigen und verborgenem Winken. Man entdeckt im Dickicht dieser Geheimnisse einen Kosmos, der einen unentwegt in andere Dimensionen katapultiert. Etwa dann, wenn der Verfasser auf höchst eigenwillige Art eines der grandiosesten Gedichte des Symbolisten Stefan George variiert, das mit der genialen Zeile "komm in den totgesagten park und schau" anhebt: komm in den angstverstopften kiez und schau: die längsten messer an den dönerspießen / die längsten waffen auf den dealerwiesen / super soaker floodinator, grünorange und blau. / dort nimm den fetten beat / im dunklen benz das goldene licht, / das aus den ketten hängt wegblitzt / aus dubais laden in die street / springt in die augenschächte und verschmiert. Durch solch' drastische Formulierungen erdet Carl-Christian Elze seine Leser radikal. Zugleich zementiert er das Fundament für ein neues Periodensystem der Ästhetik. Frei von narzisstischen Ambitionen konstruiert er in seinen Texten ein Geflecht wild wogender Rhythmen, das bizarr und absolut verwegen anmutet. Zweifellos gehört er zu den kühnsten Vers-Schöpfern der Gegenwart. Mit seinen forschen Arbeiten trotzt er der These von einer dauerhaften Krise der Lyrik. — Ulf Heise, MDR Kultur

In seinem Gedichtband „panik/paradies“ beschreibt Carl-Christian Elze auf aufwühlende Weise ein Großstadtleben im Leipziger Osten. Carl-Christian Elze entfaltet in seinem Lyrikband „panik/paradies“ auf knapp 200 Seiten ein opulentes Gesellschaftspanorama, das die Tradition politischer Lyrik auf neue Weise fortschreibt. In zehn Capita – eine Struktur, die auf Heinrich Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ anspielt – beschreibt Elze kritisch das Leben in der von Krisen geprägten Gegenwart. Dabei werden oftmals familiäre Situationen mit Gesellschaftsproblemen verschränkt, wird Individuelles politisch. So lässt Elze im Zyklus „Mysophobia“ – das ist die Angst vor Keimen, die im Caput I ein Kind existenziell plagt – die psychosozialen Traumata der Pandemie-Jahre wieder aufleben. Beschrieben wird ein Vater, den die panische Angst seines Kindes vor Berührungen aller Art schier um den Verstand bringt: „du würdest den teufel / bitten, dein kind zu retten / wenn du seine nummer hättest“. Im Caput II wird hingegen das Pandemie-Setting auf die Gesellschaft ausgeweitet und ins Dystopische gewendet. In einer „to-do-liste für die neuen herrscher der welt nach dem ende der menschen“ werden etwa bedrängende Probleme des Anthropozäns gelistet, an anderer Stelle wird auf bittere Weise von einer besseren Erde ohne menschliches Leben phantasiert – „die stille nach uns war atemberaubend. / symphonische stille in unseren städten.“ Mein überhübsches Hündchen Elze lenkt den Blick dann folgerichtig weg vom Menschen und erzählt im Caput III die reale Lebensstory eines Hundes. Der lyrische Sprecher hat ihn aus einem Waisenhaus gerettet und ist bis zur Besinnungslosigkeit in ihn vernarrt, besingt seine – auch nicht von Wunden zu beeinträchtigende – Schönheit: „mein hübsches, überhübsches, rumänisches hündchen / mit den vernarbten, dünnen, ballerinahaften beinen“. Allerdings ist dieses Glück vergänglich, das Tier von Alterskrankheiten geschwächt, an denen es letztlich stirbt. Der 1974 geborene und in Leipzig aufgewachsene Elze ruft in seinem Lyrikband auch Erinnerungen an die Nachwendezeit hervor. Er beschreibt sie im Caput IV als Jahre des besinnungslosen Konsums, des schambesetzten Einlebens in den „Westen“, der auf futuristische Weise in das Teenieleben hineinflog, wie ein „ufo gelandet / über nacht im braunkohlenstaub“. Vor der Kulisse sich ständig verändernder Städte, baufälliger Häuser und ausgedienter DDR-Produkte, an einem „verrosteten wartburg / am straßenrand ausgeschlachtet bis auf die / polster, ein verlassener zonenhund“ spielte sich aber auch die erste Liebe ab, sodass die Erinnerungsbilder zwischen Unbehagen und Melancholie schwanken. Auch in den weiteren Capita wird immerzu nach einem sprachlichen Ventil für Erlebnisse gesucht, die an die Substanz gehen. Hier spricht einer, der „auseinanderzufallen droh[t] ohne gedichte“ – und zwar Gedichte in vielen Formen: freie Verse, Sonette, Sprachspielereien, Prosagedichte. Mitunter wird auch einfach die „rhyme machine“ angeworfen oder in der Art des Gebets Bedrängendes formuliert: „vater im luftraum, hilf diesem kind!“ Ein an Worten sparsames Naturgedicht, inspiriert vermutlich von Elzes Schreibaufenthalt im Künstlerhaus Edenkoben in der Pfalz, fasst die nervöse Grundstimmung dieses Lyrikbandes in eindringliche Bilder: „hungrige tänze / eine strömung von staren // in der eisluft / mein herz // eine kugel / voller fruchtsaft // die zittert: / panik // paradies.“ Elzes Gedichtband zeigt unsere ambivalente Gegenwart als „panik/paradies“ – nirgends ein Glück ohne Störung. — Marit Heuß, Berliner Zeitung

Carl-Christian Elze, mehrfach ausgezeichneter Schriftsteller, legt mit seinem Gedichtband „panik/paradies“ eine sprachlich faszinierende wie abgründig dystopische Achter- und Geisterbahn von Leben und Zeit vor, die in Kraft, Geheimnis und Erschütterung von Beginn an mitreißt. In formaler Variation und Virtuosität legt der Autor, der mit seinem Debütroman „Freudenberg“ 2022 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, das Herz der Zeit in Angst, Verzweiflung und Einsamkeit offen und lässt Leserin und Leser in einem faszinierenden Spiegelkabinett der Sprache wandeln, tasten innehalten. Es sind große Traditionen moderner Lyrik, von Trakl bis Ginsberg, die der Autor hier gleichsam aufnimmt und im 21.Jahrhundert neu akzentuiert. Mensch, Welt und Sprache werden in größter Bild- wie Erzählkraft erschütternd analysiert und artikuliert. Ein Gedichtband, welcher die moderne Lyrik in Komposition, Sprach- wie Erzählkraft erschütternd wie beeindruckend strahlen lässt! — Walther Pobaschnig, literatur outdoors

Eine Geschichte der Prüfungen. Möglicherweise hörte das Paradies mit dem Wort auf. Oder jedenfalls mit der Fähigkeit, die Dinge nicht nur zu benennen, sondern auch zu hinterfragen. Die in zehn Caput aufgeteilten Gedichte von Carl Christian Elzes neuem Gedichtband jedenfalls könnten eine derartige Vermutung nahelegen. Wie bereits in vorangegangenen Bänden heißen die Kapitel bei Elze Caput. Und vielleicht war diese Begrifflichkeit niemals so stimmig wie in diesem Band. Denn der Inhalt von Panik Paradies legt die Erinnerung an Heines Winterreise nah, schließlich handeln viele der Gedichte Elzes dieses Mal auch vom deutschen Staat. Und gleichzeitig sind die Gedichte erneut eine Einladung in den Kopf des Dichters, der nicht so viel anders ist als unser aller Kopf. Ein von Panik überwuchertes Paradies, in dem, allem und jeder Panik zum Trotz, immer wieder Fetzten des Paradieses erkennbar werden. Das fängt mit der Ambivalenz an, mit diesem absoluten Gegensatz zwischen Panik und Paradies, die bei Elze zusammen gedacht werden, nicht nur im Titel, sondern, so möchte ich behaupten, in jedem einzelnen der Gedichte. Den Auftakt macht ein „Mysophobia“ überschriebener Zyklus. Dass ausgerechnet die Gedichte dieses Zyklus den Band öffnen, ist kein Zufall. Angst, vor den kleinsten Teilen, da spielt womöglich auch die Pandemie hinein, sowie allgemein das Phänomen Angst, die ja selbst eine Art Virus ist, das uns befällt. Angst ist vielleicht das, was der Panik die Tür zum Paradies öffnet. Das Kind, um das es im ersten Kapitel geht, darf man nicht vorschnell auf Elzes leibliches Kind reduzieren, es steht vielmehr im Kontext der Corona Pandemie für uns alle, die wir ohnmächtig diffusen Ängsten ausgesetzt gewesen sind, befallen von einer teilweise irrationalen Angst vor Bakterien, und schlimmer noch von einer Angst vor Umarmungen und körperlicher Nähe. Bei Elze klingt das so: das kind wäscht sich wäscht sich jeden einzelnen finger wäscht sich mehrmals jeden einzelnen finger eine minute, zwei minuten, schrubbt sich seine rauen rissigen hände wie ein großer chirurg. aber was will es operieren, das kind? es will die sorge herausoperieren aus seinem körper die angst herausschneiden aus seinem kopf […] Elze schreibt derart eindrücklich von dieser noch nicht so lang vergangenen Zeit, weil er sie gleichzeitig analysiert und noch einmal spürbar macht. Indem die Gedichte so aneinander anknüpfen, dass sie eine Geschichte erzählen. Der ebenfalls auftretende Vater macht den Zyklus ebenso wenig wie das Kind zu einer innerfamiliären Geschichte; auch er steht sowohl für den Einzelnen als auch für die Tatsache, dass unser erwachsenes Denken und Handeln lahmgelegt waren. Kein Zauberspruch war der Panik gewachsen, von der unsere Angst sich während dieser Zeit ernährt hat. Wir haben alle miteinander und jeder für sich nach Nachrichten gesucht, die uns endlich beruhigen würden, nichts hat uns erreicht. Bei Elze schlägt sich das darin nieder, dass ausgerechnet dort, wo kein Zauberspruch wirkt, zum ersten Mal das Paradies auftaucht. Während Elzes Gedichte also ausführlich von der Angst berichten, ermächtigt ihn seine eigene Angstfreiheit beim Schreiben dazu, zu experimentieren. Im Band finden sich neben Sonetten, Terzinen, Listen, Anagrammen, Elfchen und vielem mehr auch scheinbar naive, liedhafte, einfache gereimte Gedichte, die vielleicht den Aufruhr, das Chaos und die Unruhe, die vorherrschen, einzufangen und zu befrieden versuchen. Es ist ein bunter Reigen von Themen, die dazu geeignet sind der Panik Einlass ins Paradies zu verschaffen, und ebenso vielfältig sind die Details, die es dem Dichter wie der Leserin ermöglichen, in all der Panik immer wieder Teile des Paradieses wieder zu entdecken. So handeln die Gedichte in Panik Paradies u.a. von Bakterien und Lieferketten, Liebe und Gesang, einer sterbenden Hündin, Träumen und der Geschichte Deutschlands, die gleichzeitig als ein Stück Familiengeschichte auftritt, die wiederum übergeht in einen Teil Nachkriegsgeschichte. Dieser Band, so wie ich ihn lese, ist vor allem das: eine Geschichte der Prüfungen. Nicht zuletzt ist Panik Paradies eine originelle und sehr gelungene Zusammenarbeit zwischen Nele Brönner und Carl-Christian Elze. Der Illustrationsteil findet sich gebündelt in der Mitte des Buches, es ist ein wenig so als würden die Zeichnungen von Nele Brönner die Gedichte Elzes weniger spiegeln, als ihnen vielmehr eine eigene Geschichte hinzuzufügen. Sie funktionieren wie ein eigenes Kapitel, in dem Brönner auf ihre eigene Weise auf Elzes Gedichte eingeht. Zwar verweisen die Illustrationen auf bestimmte Gedichte, indem sie Kapitel- und Seitenzahlen angeben, aber sie machen sich unabhängig davon. Einige der Illustrationen sind durchgestrichen, blieben aber trotzdem stehen. Sie folgen einer eigenen Logik, gehen nicht chronologisch durch die Kapitel, sondern weisen voraus und verfolgen zurück. Motive wiederholen sich. Dinge brechen, Gemütszustände ändern sich. Wir sehen Eiskristalle, geometrische Formen, einen Kopf, der auftaucht und wieder untergeht. Die sich wiederholenden Gegenstände verändern, verwandeln sich, Formen vermischen sich miteinander. Da ist der selbe Reichtum an Gestaltungsmöglichkeiten, wie in den Gedichten Elzes. Der Spiegel unserer Empfindungen ausgebreitet mit dem Besteck der Illustratorin in fast verzweifelter, auf jeden Fall immer wieder scheinbar verwerfender Weise. Von manchen Menschen sagt man, sie seien durch Krankheit oder vom Leben gezeichnet, und diese Illustrationen sind vielleicht gezeichnet durch die Lektüre der Gedichte. Gemeinsam erzählen sie in Panik Paradies eine Geschichte der Prüfungen. Prüfungen die weder bestanden werden noch dazu führen, dass jemand kapituliert. Vielmehr stellen sowohl Carl-Christian Elze als auch Nele Brönner den Leser:innen ihr Handwerkszeug zur Verfügung, um fertig zu werden mit der Wirklichkeit, sie in Bilder und Verse zu gießen, sie zu bannen und weiterzuspinnen, statt sich geschlagen zu geben. — Elke Engelhardt, Lyrikkritik

Mit eingebautem Hallo-Wach-Effekt: der Gedichtband »panik/paradies« von Carl-Christian Elze »Gedichte sind nicht zum Träumen da, sondern zum Aufwachen.« Das war einer der poetologischen Merksätze, die Gerhard Falkners letzten Gedichtband »Schorfheide« begleitet haben. Für Poesie-Romantiker alter Schule erst einmal ein Satz mit Irritations-Potenzial: Gedichte als Weckamine? Als Aufruf? Als Fanal? – Warum eigentlich nicht? Mit »panik/paradies« hat Carl-Christian Elze jedenfalls schon mal einen echten Wachmachertitel gewählt. Er öffnet einen weiten Spielraum für unterschiedlichste Interpretationen. Da stehen Unruhe, Verwirrung, Hektik und Katastrophenstimmung nur durch einen Slash getrennt von Ruhe, Perfektion, Gelassenheit und Genuss. Oder ist es anders gemeint? Etwa so, dass wir uns in unserer immerwährenden Panik schon paradiesisch eingerichtet haben? Oder so, dass das Schöne (Paradies) nichts als des Schrecklichen (Panik) Anfang ist? Viel Platz für Deutungen also. In diesem Deutungsraum scheint sich der Schreiber des Klappentextes verloren zu haben, formuliert er doch den erkenntnisfreien Satz: »panik/paradies ist nichts weniger als eine unbedingte, eine schonungslose Hingabe an die Existenz und an die scheinbar unendlichen Fragen, die sie aufwirft.« Nun, das Gleiche trifft auch auf den Appetizer-Text auf der Rückseite einer Tiefkühlpizza-Packung zu, der über den reichhaltigen Belag und den knusprigen Boden fabuliert. Aber wenden wir unsere Aufmerksamkeit lieber dem Band selbst zu: Auffällig ist die für das Verlagshaus Berlin eher unübliche farbige Gestaltung des Covers. Die Illustration zeigt ein grünes Blatt, in das die Strichzeichnung eines nesselartigen Tiers integriert ist. Die Schrift des Titels darüber changiert in den Farben Pink, Lila und Rot. Verantwortlich für das Cover zeichnet die formidable Illustratorin Nele Brönner, die auch im Mittelteil des Bandes, übrigens stilistisch unterschiedliche, Illustration platziert. Sie zeigen Tiere, Pflanzen, Masken, amorphe Formen, bisweilen erinnern sie an Höhlenmalerei oder Kunst mit afrikanischen Einflüssen. Und genauso vielfältig wie Nele Brönners Werke sind auch die Gedichte von Carl-Christan Elze. Unterteilt in zehn Kapitel, die mit »Caput I« bis »Caput X« betitelt sind, setzen sie unterschiedliche Schwerpunkte. Optisch wird jedes dieser Kapitel durch eine schwarze Doppelseite eingeleitet. Den einzelnen Themen wird, wenn man so will, ein schwarzer statt eines roten Teppichs ausgerollt. Ein wuchtiges, fulminantes Statement zur Zeit Will man schon jetzt eine resümierende Einschätzung zu diesem Gedichtband vornehmen, so bleibt dem Rezensenten wenig anderes übrig, als zu sagen: panik/paradies ist ein wuchtiges, fuliminantes Statement zur Zeit, das die gegenwärtige Stimmung kraftvoll aufnimmt, diese Mischung aus Angst, Ohnmacht, Trauer, Schmerz und einem zarten Pflänzchen Zuversicht. Elze geht dabei umfassend vor, er sucht in seinem 200-Seiten-Band sämtliche Bezirke menschlicher Erfahrung auf: Ob Kindheitserinnerungen, Liebe, Ehe und Familie, Entfremdung, Geschichte oder Politik, nichts entgeht dem lyrischen Lichtkegel des Dichters. Und er beleuchtet die Dinge mit einer beeindruckenden stilistischen Vielfalt: Sonette, Balladen, Zyklen, Terzinen, Listen, Anrufungen, Oden, Gebete – Elze breitet sein poetisches Operationsbesteck souverän aus. Wie sind die Gedichte nun? Fangen wir mit einem ungewöhnlichen Gedicht an, es befindet sich fast am Schluss des Bandes und trägt den programmatischen Titel: »der tag, an dem ich keine gedichte mehr schreibe«. Mit der ersten Strophe legt es gleich offensiv los: »der tag, an dem ich keine gedichte mehr schreibe / wird ein glücklicher tag sein, von morgens bis abends / in mut getaucht, in ein meer voller zellen / die nicht schwanken“. Es scheint so, als habe das lyrische Ich sich von einer Last befreit. Das beglaubigt auch die zweite Strophe: »der tag, an dem ich keine gedichte mehr schreibe / wird ein tag ohne krücken sein. ich stehe auf / und beginne zu laufen: laufe und laufe / lass die stadt hinter mir, tauche ein in ein rapsfeld“. Man fühlt sich fast an die Bibel erinnert, wo Jesus zu einem Lahmen sagt: »Steh auf und wandle!« So geht es noch drei Strophen weiter. Wirkt die Befreiung von der Poesie wie eine Wunderheilung? Fast könnte man es glauben, wenn es in Kursivschrift heißt: »es ist geschafft! Nun iss und lebe. lebe und iss / wir sterben heut nicht!« Wohltuende Klarheit, echte Virtuosität – doch gelegentlich rattert die Mechanik Dann aber ändert sich die Tonlage, das lyrische Ich schmiert »auf alle Servietten« die letzte Strophe, die allem vorher Gesagten mit einem Ruck den Boden unter den Füßen wegzieht: »der tag, an dem ich keine gedichte mehr schreibe / der tag, an dem ich keine krücken mehr brauche / der tag, an dem ich keinen atem mehr brauche / der tag, an dem ich keine rettung mehr brauche / […] ist kein tag ist kein tag ist kein tag!« Auf einmal wird die scheinbare Last von eben zu etwas Lebensnotwendigem, dass das lyrische Ich so nötig braucht wie die Luft zum Atmen. Die Poesie als (Über-)Lebensmittel – eine klare Programmatik. Überhaupt lässt es Carl-Christian Elze an wohltuender Klarheit nicht fehlen. Seine Gedichte schleppen keinen metaphorischen Ballast mit sich herum, kein enigmatisches Kunsthandwerk versperrt den Zugang. Allerdings gibt es poetische Mechaniken, für die Elze eine Vorliebe zu haben scheint, zum Beispiel Listen oder Aufzählungen. Sie dienen oft dem mantramäßigen Intensivieren der lyrischen Wirkung, funktionieren aber im Vortrag weitaus besser als beim Lesen. Manchmal rattert die Mechanik auch nur leer vor sich hin wie in dem Poem »neustadt deine fliederbüsche«, wo die einzelnen Verse mit müdem Augenzwinkern halbe Reime abklappern: »neustadt deine plastetüten / neustadt deine immermüden / neustadt deine dünnen dealer / neustadt deine dicken schüler«. Das führt zu keinerlei tieferem Erkenntnisgewinn, haspelt lediglich eine nur in Ansätzen sozialkritische Milieuschilderung bis zum Ende durch. Da macht es sich Elze ein wenig zu einfach, ähnlich fade ratterts im Gedicht »das system muss seine lieferketten retten«. Aber solche Ausfälle beschränken sich auf wenige Ausnahmen. Andere Mechaniken, wie zum Beispiel das Anagram, dekliniert Elze sehr artistisch durch: Aus »vaters rune« wird am Ende der anagrammatischen Metamorphosen »ave returns« – virtuos und erkenntnisreich. Ein Gedichtband, den es gebraucht hat Von Gottfried Benn stammt das Zitat: »Man muss dicht am Stier kämpfen, sagen die großen Toreros, vielleicht dann kommt der Sieg.« Auch Elze kämpft dicht am Stier, will heißen: dicht an der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit. Ihm gelingen dabei Gedichte mit scharfer Pointierung, ohne dass gleich das Verfallsdatum der Tagesaktualität auf ihnen steht. »panik/paradies« ist ein Band, den es gerade in seiner stilistischen Vielfalt und seinem thematisch breiten Spektrum jetzt gebraucht hat. Das unterschreibt der Rezensent umso mehr, wenn er so wunderbare Gedichtzyklen wie »nocturno« findet, neun wunderbar schwebende Sonette über den Schlaf, über Träume mit Versen wie »die träume ziehn, ziehn über wiesen / ein sack voll kinder, die in bällebädern toben / ein sack voll videos in ein loch geschoben / ein sesselraum mit hirnbemalten fliesen«. Was bleibt nach der Lektüre als Erkenntnis? Auch ein hellwacher Gedichtband kann traumwandlerisch schön sein. — Hellmuth Opitz, Das Gedicht Blog

Beginnen wir mit dem Schluss. Das vorletzte Gedicht dieses für Lyrik ungewöhnlich umfangreichen Bands trägt den Titel: "der tag, an dem ich keine Gedichte mehr schreibe." der tag, an dem ich keine gedichte mehr schreibe wird ein glücklicher tag sein, von morgens bis abends in mut getaucht, in ein meer voller zellen die nicht schwanken. Die vorletzte Strophe beginnt dann mit einer Selbstermunterung des Dichters: es ist geschafft! nun iss und lebe, lebe und iss/ wir sterben heut nicht! – Damit zeigt Elze spät, aber nicht zu spät an, dass die Gestorbenen in seinen Gedichten, die vielen Viren, die die Menschen auslöschen, nicht das sind, was ihm Vergnügen bereitet. Ganz im Gegenteil. Elze, Jahrgang 1974, Sohn des Tierarztes vom Leipziger Zoo, hatte nach einem Studium der Biologie immer einen wissenschaftlichen Blick auf die Kreatur. Jetzt steht er als Dichter am Rand und beobachtet Wörter. Die Verse, die er daraus zieht, sind schwerwiegende: nicht länger menschen – der letzte mensch aufgelöst jedes futter verweigernd im letzten zoo dieser welt dehydriert und verhungert verstaubt. Wer empfindlich ist, sei gewarnt. Wer glaubt, die Wahrheit sei dem Menschen nicht zuzumuten, sei doppelt gewarnt. – Elze geht in zehn Caputs als Kapiteleinteilung durch die räuberische Pandemie, geht zurück in das Jahr der Montagsdemos, in die Zeit, als der Westen kam und die Fritten-, Döner- und Burger-Buden, geht durch den Kapitalismus und die Eisenbahnstraße in Leipzig und ist dabei, wenn Häuser geräumt und eine tote Frau gefunden wird. Aber dieses Äußerste, dass er zur Sprache bringt, bekommt eine Melodie, in der er dem Leser ein Lied von Hoffnung singt. Noch ist es nicht zu spät: noch bist du voller gefäße nährstoffe und zellen die dich erzittern lassen … noch bist du etwas das lebt in totaler distanz in größter erschöpfung. Elzes Gedichte beklagen den Zustand der Welt. Wenn es eine Sprache gibt, die die letzten Fragen stellt, dann hat Elze sie gefunden. In der souverän beherrschten Verssprache seiner nur vermeintlich freien Lyrik liegt das Paradies, das der Panik folgen könnte. — Michael Hametner, MDR Sachsenradio

"panik/paradies" ist natürlich auch Leipzig. Aber nicht nur. Es sind alle diese kleinen und großen Welten, in denen Menschen an ihre Grenzen kommen und nur zu bereit sind, völlig außer Rand und Band zu geraten. "panik/paradies" waren auch diese zwei, drei Corona-Jahre, die auch Eltern und ihre Kinder an die Grenzen des Kontrollierbaren gebracht haben. Auch Dichter-Väter wie Carl-Christian Elze. Davon erzählt er gleich im ersten Kapitel: Mysophobia, der Angst vor Deck und Verunreinigung. In dem es eigentlich darum geht, wie ein kleiner Junge versucht, mit den ganzen Alarmmeldungen aus der frühen Corona-Zeit umzugehen, wo alle Kanäle voll waren mit Warnungen vor Ansteckungen und Schmierinfektionen. Ja nicht anfassen! So intensiv hat bisher kein Dichter diese beklemmende Zeit und das Erleben der Eltern in Worte gefasst, die damit umgehen mussten, selbst im Grunde genauso hilflos wie die Kinder. — Ralf Julke, Leipziger Internetzeitung

Als Fan von Carl-Christian Elzes bisherigen Gedichtbänden, war ich sehr gespannt auf dieses neue Buch. Mit fast 200 Seiten fällt es für einen Gedichtband nicht gerade schmal aus – es deckt aber auch eine breite Palette von Themen ab. Neben der Corona-Pandemie geht es u.a. um das Sterben eines geliebten Hundes, um Donald Trump und die eigene Familiengeschichte. Und das sind nur die wiederkehrenden Themen, dazwischen findet sich noch vieles mehr. Auch formal ist das Buch eine vielfältige Angelegenheit – viele Sonette, manche Terzine, überhaupt viele Reime. Dieser Zug zur Formstrenge fungiert auch, so meine Vermutung, als Gegengewicht zu den manchmal ausufernden Energien und Emotionen, von denen viele Gedichte bevölkert sind, angetrieben werden. Wer ein durch und durch subtiles Werk erwartet, dürfte streckenweise enttäuscht werden. Elzes Auseinandersetzung mit den schmerzlichen und schönen Erfahrungen ist konfrontativ, heart on his sleeve-Style, seine Suche nach einem Umgang, einer Bewältigung gar, schlägt manchmal ins Zynische, Verzweifelte um. Es ist ein sehr ehrliches, authentisches Dokument, dieser Gedichtband, allerdings keine einfache Lektüre, den Elze wagt mehr als einen Blick in viele Abgründe. „In Angst (Panik?) versetzt uns, dass wir das Paradies jeden Moment betreten könnten, nur um es gleich wieder zu verlassen“, schrieb Jorge Luis Borges (übers. v. Gisbert Haefs) in seinen dantesken Essays. In Elzes Buch ist das Paradies ein Nachgeschmack, ein Hunger, eine Erinnerung. Die Panik ist allgegenwärtig. Helfen die Worte? Sind sie ein Paradies? Sie sind zumindest dies: Gedichte, schonungslos, nach einer Gnade tastend, nach Hoffnung fahndend, fluchend, suchend. — Timo Brandt, lyristix

Das Paradies ist ein wunderbarer, alle Wünsche zugleich erfüllender Ort. Es ist die Abwesenheit aller schlechten Gefühle und aller nicht befriedigten Bedürfnisse. Es ist, um es mit Goethe zu sagen, die ultimative Einladung zum: „Verweile doch! Du bist so schön!“ – Das absolute Gegenmodell dazu ist eine uns in extreme Hastigkeit und Kopflosigkeit versetzende, alles übersteigende Angst: die Panik. Und Panik ist das, was im neuen, im Verlagshaus Berlin erschienen Gedichtband von Carl-Christian Elze, schon vom Titel her mit dem Wort „Paradies“ untrennbar verbunden ist: panik/paradies. Was vielleicht ein Paradies hätte sein können, ist ein Ort des Panischen geworden: unser Leben – unsere Welt. Elzes Gedichte sprechen von eben diesem panik/paradies, und sie tun dies in fast barocker Fülle. In thematischer Fülle, wie es auch schon im Klappentext des Buches heißt: „Kindheit und Kindheitserinnerung, Familie und Ehe, Liebe und Entfremdung, Tier-Mensch-Beziehungen, Geschichte und wie wir sie erzählen; Politik und ihre Auswirkung auf unser Selbstbild und die Bilder, die wir von anderen haben.“ Die Texte präsentieren sich jedoch gleichermaßen auch in formaler Fülle, was ebenfalls schon der Klappentext ankündigt: „Es muss doch eine Sprache geben, die die existenziellen Fragen zu fassen vermag? Terzinen, Sonette, Balladen, Zyklen, Listen, Gebete, Beschwörungen. Elze breitet das Besteck des Dichters in fast verzweifelter Vielfalt aus.“ Während die meisten Gedichtbände heutzutage ja ziemlich schlank daherkommen, oft gerade mal gut 70 Seiten umfassen und auch vom formalen und inhaltsbezogenen Scope her zumeist recht spezifiziert sind, bietet Elze in panik/paradies – fast möchte man sagen – alles. Alles ist nun tatsächlich viel, aber Carl-Christian Elze kann auch viel. Elze kann Terzine: vertrau zu sterben, lern die erde solang du augen hast, verneige schwestern, brüder: glas und berge kein andrer pfad zurück ins weite vertraue sprung, die stirne runter im kleinen becken, weg die scheibe viel zu gewinnen, der alte plunder wie weggefegt, der schmerz entstromt reich ohne kopf, noch nie gesunder bleibt auch zurück der trauerdom am bett, die blassen zitterkinder, ist nichts, worin sich lange wohnt kommen alle an im teilchenwinter nah an der sonne, muttergas strömen alle an, galaxisrinder vergessen welt und grünes gras. Elze kann Sonett: schön nur im stillstand im schlaf nackte tiere gebunden versunken alle worte gefesselt im elektrischen gras alle kriege versickert, im kopf ungefunden. was auch für träume in den körpern schreddern die hand bleibt weich: kein rot, kein grind kein bein marschiert, die sägeblätter stehn still im laken, nur ein fetzen wind kriecht durch die fenster, kühlt die zähne. der schlaffe mund einen spaltbreit offen steht ein kleiner schuppen jetzt, dem nichts mehr fehlt kein himmelbett, kein landgewinn, die masterpläne verstaubt im rattennest, die kleinen schnauzen im wärmestrom, die sterne sausen. Elze kann Liste: to-do-liste für die neuen herrscher der welt nach dem ende der menschen (ausgedruckt von einem halb zerstörten HP Officejet Pro 8600 auf befehl eines verlassenen computers) die tiere befreien aus ihren fabriken das erdöl befreien aus ihren fabriken den kernstab befreien aus ihren fabriken die fabriken befreien aus ihren städten die städte befreien aus ihren ländern die länder befreien aus ihren grenzen die gegenstände befreien aus ihren häusern die häuser befreien aus ihren straßen die straßen befreien aus ihren netzen die flugzeuge befreien aus ihrem himmel der nur geborgt war, nicht mal geborgt!... Elze kann Satire: heut nacht schmilzt trump im weißen haus schmilzt weg im bett wie alter reifen geföhnter rattenschiss, auf einmal stau im hass-account, geruch von seifen… Elze kann Absurd: ertaste nichts, dann plötzlich schleifen sehr klein am zäpfchen baumelnd wie der liebe gott oder kompott abseits der abschluckschneisen… Elze kann Komik: auch superhelden wohnen hier zum beispiel rotzman alphatier im erdgeschoss im fensterloch die spucke tief in rotzman kocht mit gelben superspeicheldrüsen bereit fürs superdüsenfliegen rotzt rotzman dann aus allen rohren das böse mit den großen ohren… Elze kann Ernst: das kind wäscht sich wäscht sich jeden einzelnen finger wäscht sich mehrmals jeden einzelnen finger eine minute, zwei minuten, schrubbt sich seine rauen rissigen hände wie ein großer chirurg. aber was will es operieren, das kind?... Elze kann Trauer: dein verschwinden begann so langsam dass ich es nicht gleich bemerkte dann nahm er fahrt auf, dein kleiner körper beschleunigte und fuhr gegen die wand. inkontinenz, taubheit, blindheit eine nulllinie im elektroretinogramm dein kopf, der überall anstößt noch im vertrautesten zimmer dein kompass zerkratzt… Und Elze kann noch sehr viel mehr, wie sich auf den knapp 200 Seiten des Buches mit seinen 10 Kapiteln zeigt. Alle Kapitel heißen übrigens „CAPUT“, gefolgt von einer der römischen Ziffern zwischen I und X. „Caput“ für lateinisch „Kopf“ oder auch metonymisch „Mensch“, wobei man hier vielleicht auch zusätzlich noch ganz lautbezogen „kaputt“ assoziieren darf: kopf/ mensch/kaputt. Das grundsätzlich Kaputte oder eben Panische des vielleicht-mal-theoretisch-visionär-phantasierten Paradieses durchzieht die Texte des Bandes ähnlich wie auch ihre immer wieder ironisch-komisch-absurde Brechung. Es ist, als ob das barocke Vanitas-Motiv zusammen mit einer virtuosen poetischen Eloquenz, die einen bisweilen an Peter Rühmkorf erinnern könnte, in zeitgenössischer Gestalt zusammenfinden, wobei Elzes Texte nie geschraubt, sondern immer flüssig klingen. So als wären sie überwiegend auch in einer Art poetischem Flow entstanden (und dann natürlich vielfach überarbeitet und verfeinert worden). — Stefan Hölscher, Signaturen-Magazin