langsames ermatten im labyrinth

In seinem dritten im Verlagshaus erscheinenden Band langsames ermatten im labyrinth widmet Carl-Christian Elze sich Venedig – einem Hologramm, einer Vision von Tintoretto, einem Organversagen – sicher keiner Stadt.

Elzes Gedichte erschreiben sich ein Venedig, das in den Körper übergeht. Venedig ist ein einziges schwanken / durch gassen, die sich salzig verbiegen . Das ist nicht das Venedig der Postkarten, es ist ein Labyrinth der Ratten, Fliegen, Tauben – aber auch der Päpsten, Dogen, Gondeln und Engel. Ihre Anmut geht gänzlich in Elzes Verse über. Es ist kein Wunder, dass Elze einen ganzen Zyklus zu Tintorettos Gemälden schreibt: Hier mischen sich der Blick des Malers und der des Lyrikers.

Was sie sehen, sind Körper – und die werden zu Gedichten. Elze ist sich bewusst, was er sieht: Das Betrachten eines Gemäldes war ein Spaziergang geworden, es geschah wie nebenbei, und ein Spaziergang war wie ein Gemälde geworden: er drang tiefer in den Körper ein. Das ist nicht irgendeine Stadt, das ist Venedig. Ein Bild vor Augen, das zerfließt, sobald wir es betreten, ein langsames ermatten im labyrinth .

Einer, der aus seinem Venedigaufenthalt im Centro Tedesco di Studi Veneziani im August 2016 etwas Großartiges gemacht hat, ist der 1974 geborene, in Leipzig lebende Carl-Christian Elze. […] Mit Elzes Gedichtband lässt sich das Labyrinth Venedigs mit seinen Kirchen und Palästen, den Museen und großartigen Kulturdenkmälern durchstreifen, den Armen und Reichen und wenigen Anwohnern begegnen. Die sprechende Instanz in Elzes Gedichten versenkt sich in die Betrachtung von Gemälden Vittore Carpaccios, Giorgiones und Jacopo Tintorettos, begegnet Thomas Manns Gustav Aschenbach am Lido oder Richard Wagner. Wer mutmaßt, man habe es, wenn nicht mit Stipendiatenliteratur, so doch mit Bildungshuberei zu tun, lese diese Gedichte, deren unverstelltes, oft staunendes Blicken auf Dinge, Tiere, Menschen bestechend ist, deren kritisches Befragen der Wirklichkeit auch hinter die Dinge zu blicken versucht: „diese stadt ist ein teilchenbeschleuniger/ sie löst dich auf, um dich sehend zu machen.“ — Beate Tröger (Literaturblatt Baden Württemberg)

Carl-Christian Elzes jüngst erschienener Gedichtband „langsames ermatten im labyrinth“ ist eine fulminante und glänzende Abrechnung mit einer Stadt geworden. Des Nachts wachgehalten von Müllschluckern, Ratten und Wasserpumpen läuft der Dichter des Tags durch ein schon fast apokalyptisches Inferno, durch „ein labyrinth aus urin und grasbüscheln“, durch „eine stadt voller bonbonpapier, ein ladegerät für kreuzfahrtkrüppel“, „von palast zu palast, über plätze ohne bäume“, „all deine sicherungen brennen durch, all deine sicherheiten, deine augen schwellen an“ – „ein krisengebiet für jede synapse“. […] Carl-Christian Elze ist mit „langsames ermatten im labyrinth“ ein außergewöhnliches lyrisches Epos über eine der meistbesuchten Städte der Welt gelungen. Wer nach dem Lesen dieser Gedichte immer noch nach Venedig will, muss mindestens von der Faszination des Grauens getrieben sein. — Matthias Ehlers (WDR 5, Literaturmagazin „Bücher“)

Elzes große Stärke ist, dass er trotz der theologischen, metaphysischen Fragen nicht
abhebt, sondern verständlich bleibt. Wie die ihn ansaugenden, sich in sein Inneres
fressenden Bilder geht er stets von etwas Konkretem aus und bleibt den
Menschen, Tieren, Mitgeschöpfen zugewandt, Symbolismus ist ihm fremd. Weil er so viel sinnliche Wirklichkeit in seine Gedichte legt, Szenen baut, und da, wo er pathetisch wird, das Pathos gleich wieder bricht, indem er seine Ergriffenheit mit Profanem mischt, braucht Elze keine Ironie, diese einschüchternde überhebliche Heuchelei derjenigen, die ihrer Angst nicht begegnen wollen. Er macht sich nicht größer, nicht kleiner, er sagt mit jedem Vers: Trotz allem – fürchtet euch nicht. Engel sagen so etwas. Dichter aber auch. — Bettina Hartz (FAZ, 1.10.2019)

Der Venedig-Flaneur Elze schreibt frei von Klischees und wandert mit wachem Blick durch enge, labyrinthische Gassen. Doch auch er kann sich der großen Geste dieser „auf der flucht geborenen stadt“ nicht entziehen: „niemand ist rettbar/ in diesem gebilde/ weder dogen noch päpste/ weder du noch dein kind/ alles verschwindet/ in einem anfall von schönheit/ nichts und alles gelingt.“ — Tobias Lehmkuhl (litrix)

Es ist der zweite Band, den ich von Carl-Christian Elze lese. Und auch hier bin ich wieder betört von der Schönheit dieser Lyrik. Der Band kommt auch diesmal wieder aus dem Verlagshaus Berlin und ist, wie alle Bände dieses Verlages, ganz wunderbar illustriert. Die Künstlerin ist Lilli Gärtner. Ungewöhnlich ist diesmal, dass der Band zweisprachig ist: Deutsch und im zweiten Teil, der sich auch farblich abhebt in Italienisch. […] Immer wieder zeugen die Gedichte davon, wie es dem Autor geht, wie der Körper auf die Stadt reagiert, wie der Geist aus dem Lot gerät, ob der ganzen Kunst, der labyrinthischen Gassen, der vielen sinnlichen Eindrücke. Die Stadt als Spiegel des Selbst, das Ich auflösend? Überreaktionen, vielleicht gar das Stendhal-Syndrom? Und das Telefon verloren und zwinkernde Krankenschwestern. Doch dann gleicht sich alles wieder aus. Am Schreibtisch, den ruhig atmenden Hund zu Füßen. — Marina Büttner (Literatur leuchtet)

Die Gedichte dieses Lyrikbandes berühren das Phantom Venedig, die Vibration der Sinne auf die Schmutz, Glanz und Kunst prasseln und sich zu einer venezianischen Schwingung fügen. Die Mitesser der Stadt erfahren darin gleichrangig Erwähnung mit dem Schönen in diesem hinreißenden Kosmos der Wahrnehmungen. Ein ästhetisches Spiel mit dem Hässlichen ist so entstanden, das in zauberhafter Weise tief berührt. […] Der Postkartenkitsch, der durch die Hirne flammt, wird in einem reißenden Strom versengt, so dass man sich bald fragt, ob es ihn je gegeben hat. Es bleibt ein nachhaltiges Echo, das über die Wellen der Gedichte dieses vorzüglichen Lyrikers getragen wird, der wie ein Seidenspinner einen Kokon legt um Venedig und aus ihm heraus die Leser und Leserinnen speist. Darin sind etwa die „paläste“ zu Nuancen gesponnen, die sich in „verrottenden tauben“ verjüngen. Das sorgt für einen phantastischen Leseeindruck, der auch in die davon überwältigten Zellen des Körpers einzudringen trachtet: „du trinkst und schaust in dich hinein / und siehst deine organe / in einem canal grande aus blut stehen / verrottende herrlichkeiten /“. — Kerstin Fischer (Lyrikatelier Fischerhaus)

Was das Buch auszeichnet, ist Elzes genauer, liebevoller Blick auf Details, auf scheinbare Kleinheiten und Winzigkeiten, womit er seinem Vorhaben, nach dem zu suchen, was keiner sieht, aufs Trefflichste gerecht wird. Statt Menschen betrachtet er einer Unzahl von Tieren und lässt seine Fantasie Purzelbäume über die Realität schlagen, erzählt metaphorisch vom Drama eines Taubenjungen, das „vom himmel fiel“, von Kinderschreien „gepresst aus möwenköpfen“, von Fliegen, Eidechsen, Fischen und Wasserschildkröten, von Katzen, Pferden und immer wieder von Hunden. Der Dichter erinnert an andere Künstler, etwa an Richard Wagner, und lässt Thomas Manns Figur Aschenbach in seinen Gedichten auftreten. Nicht zuletzt durch die betrachteten Kunstwerke findet er zur Ruhe und wenn er auch offensichtlich keinen Frieden mit der Stadt schließt, so entdeckt er doch ein paar ihm gemäßere Plätze in Venedig, etwa die Insel Sant’Erasmo, die ihm ihre „goldbarren zeigt: frische küken“ und reich bestückte Äcker, „ein tintorettotraum von auberginen und tomaten“, stille Ecken abseits der Touristenströme, die ihn zur Ruhe kommen und „glücklich atmen“ lassen, und sei es beim Blick aus seinem Fenster ins „müllparadies eines schachts“ oder beim Spaziergang durch „ein labyrinth aus urin und grasbüscheln“, fern jeder lauten „Idylle“, doch endlich ganz bei sich. — Monika Vasik (fixpoetry)